Zukunft gestalten #4: Familienfreundlichkeit und Inklusion am Arbeitsplatz bei cobicos

24. Januar 2019
familienfreundlichkeit und inklusion cobicos

Im letzten Jahr habe ich mein neues Format „Zukunft gestalten“ auf dem Blog ins Leben gerufen. Ich gehe dabei der Frage nach, inwiefern sich Akteure der Naturkosmetikbranche in den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – engagieren und so die Arbeitswelt, das tägliche Miteinander und unsere Umwelt aktiv positiv beeinflussen.

In den bisherigen Beiträgen konntet ihr i+m auf dem Weg zur Holokratie begleiten, Einblicke in das soziale Engagement von amo como soy in Bolivien bekommen und die Hebammenhilfe von farfalla kennenlernen.

Heute steht cobicos im Mittelpunkt. Gründerin und Geschäftsführerin Birgit Corall, die nicht nur ihre eigene Naturkosmetikmarke führt, sondern auch die neuseeländische Marke Living Nature als Distributorin nach Deutschland geholt hat, engagiert sich in ihrem Unternehmen aktiv für Inklusion und Familienfreundlichkeit. Darüber habe ich mit ihr im Interview genauer gesprochen:


Ida: Der Frauenanteil im cobicos-Team liegt bei 100%. Birgit, du hast dich dafür entschieden, Stellen ganz bewusst mit Frauen/Müttern zu besetzen. Welche Vorteile siehst du persönlich darin?

Birgit Corall: Als ich zum ersten Mal in Neuseeland bei Living Nature war, hat Suzanne Hall, die Gründerin der Marke, zu mir gesagt: „Ich liebe es, mit Frauen zusammen zu arbeiten, da sie auch mal bereit sind, eine Aufgabe zu übernehmen, für die sie nicht eingestellt worden sind.“

Genau dieses Talent schätze auch ich bei Frauen – sie sind sehr flexibel und anpassungsfähig, sie haben oftmals gelernt, Kinder, Familie, Beruf und Haushalt sowie Freizeit unter einen Hut zu bringen, sie sehen Dinge am Rande und sind gesprächsbereiter. Das soll nicht als Kritik an Männern verstanden werden, die eben ganz andere Talente haben. Wir hier bei cobicos können die Frauentalente eben sehr gut miteinander kombinieren und sehen für unser Unternehmen den größten Nutzen. Auch das Thema Wertschätzung für jeden im Team ist sehr wichtig.

Ida: Für Frauen stellt das Mama-Werden häufig einen Wendepunkt in der Karriere dar. Wer nach der Babypause zurück in den alten oder einen neuen Job will, sieht sich mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert, insbesondere in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und das über viele Jahre hinweg. Wie wird Familienfreundlichkeit bei cobicos gelebt und gestaltet?

Birgit Corall: Als ich mit meiner Firma von Bochum nach Landshut gezogen bin, habe ich beim Arbeitsamt drei freie Stellen angemeldet. Die Voraussetzungen hießen: gerne Frauen mit Kindern in Teilzeit, gerne aus einem kaufmännischen Beruf kommend, PC Kenntnisse sind wichtig, die Bereitschaft etwas Neues zu erlernen und neben Bayerisch auch Hochdeutsch sprechen.

Das war für das Arbeitsamt eine ganz ungewöhnliche Anfrage. Da ich ja selber zwei Töchter habe und weder vor noch nach den Geburten großartig Pausen eingelegt habe, wusste ich, dass Frauen mit Kindern sehr gerne und sehr gut arbeiten können und möchten. Sie müssen aber immer mit dem Vorurteil kämpfen, dass sie aufgrund der Kinder viele Fehlzeiten haben werden. Das Gegenteil ist aber der Fall. Eine Frau mit Kindern weiß sich zu helfen und hat in der Regel ein gut funktionierendes soziales Netzwerk. Eine zufriedene Mitarbeiterin mit Kindern hat insgesamt sicherlich weniger Fehlzeiten als ein unzufriedener Mitarbeiter/IN ohne Kinder.

Außerdem ist unser Büro flexibel. Wir haben auch schon einmal Kinder, wenn sie zu krank für die Schule oder Kindergarten waren, aber nicht krank genug, um im Bett zu liegen, bei uns im Büro gehabt. Hier konnten sie spielen, schlafen und mit uns frühstücken. Die Arbeit hat noch nie darunter gelitten.

cobicos joberfolg 2016

Cobicos wurde bereits mehrfach für das Engagement im Bereich der Inklusion ausgezeichnet. Foto: cobicos

Ida: Zwei eurer Mitarbeiterinnen haben körperliche Beeinträchtigungen bzw. eine Schwerbehinderung. Erzähl uns doch kurz, wie Maria Fernandez und Jutta Markgraf, die auf dem oberen Foto rechts neben dir stehen, den Weg zu cobicos gefunden haben und wie ihre Tätigkeitsfelder innerhalb des Unternehmens aussehen.

Birgit Corall: Maria kannte ich über unsere Männer, die beruflich miteinander zu tun hatten. Sie hat mich einmal angesprochen, ob ich nicht noch eine Mitarbeiterin suche. In ihren alten Job nach München konnte sie wegen der beiden Kinder und dem langen Arbeitsweg nicht mehr zurück. Nach einem Probetag sind wir uns dann schnell einig geworden. Maria arbeitet im Verkauf und Beratung, in der Kommissionierung der Bestellung von Anfang bis Ende und plant Marketingaktivitäten.

Jutta war Kindergärtnerin, wo meine Mädels im Kindergarten bzw. Hort waren und sie ist eine Freundin von Brigitte, einer anderen Mitarbeiterin. Als Jutta nach der zweiten Hirnblutung und einer langen Reha nicht mehr zurück in den alten Beruf und in ihre Selbständigkeit konnte, viel sie in ein Loch. Zur Aufmunterung habe ich sie gefragt, ob sie nicht zu uns zum Mitarbeiterfrühstück dazu kommen möchte. Nach dem 2. Frühstück hat Jutta gefragt, ob sie uns nicht bei irgendetwas helfen kann. Wir haben dann nach Tätigkeiten gesucht, die von der Motorik her für Jutta machbar sind. Da für sie und uns diese Tätigkeiten von Nutzen sind (Jutta sagt immer, dass ist die beste Reha im Büro :-)), wollte ich sie unbedingt einstellen, um ihr eine Versicherung für den Arbeitsweg und eine gerechte Entlohnung für ihre Arbeit zu bieten. Sie erstellt für uns Pröbchenpakete, Informationsmappen, versieht Produkte mit Aufklebern usw.

Ida: Für das Engagement im Bereich der Inklusion wurde cobicos mehrfach ausgezeichnet. Das finde ich nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Unternehmensgröße beeindruckend! Welche inklusionsfördernden Maßnahmen setzt ihr konkret um, wenn es um die Gestaltung der Arbeitsplätze, aber auch um die Prozesse und Aufgaben geht? Was sind dabei die größten Herausforderungen im gemeinsamen Arbeitsalltag?

Birgit Corall: Ja, genau. Wir haben zum Beispiel den „Ehrenpreis JobErfolg“ erhalten, da Unternehmen unter 20 Mitarbeitern niemanden mit Behinderung einstellen müssen. Über 20 Mitarbeitern zählt die 5% Regelung. Bei uns haben zwei von acht eine Behinderung.

Wir haben zwei motorisierte Schreibtische, die an die Arbeitsbedingungen angepasst werden können. Außerdem eine weiche Matte vor dem Packtisch, um das Stehen zu erleichtern. Jutta ist gerne etwas abgeschirmt und hat einen ruhigen Arbeitsplatz, bei dem sie auch die Türe zu machen kann. Es sind also gar keine großartigen Maßnahmen notwendig geworden. Es gibt sehr viele Fördermaßnahmen, wenn man zum Beispiel eine behindertengerechte Toilette etc. einbauen möchte – das ist bislang bei uns nicht notwendig.

Wichtig ist, die Augen offen zu halten und auf den anderen zu achten. Hilfe anzubieten und mal eine Minute seine Sachen liegen zu lassen, wenn der andere Hilfe benötigt.

Ich frage auch manchmal einfach, ob jemand für seinen Schreibtisch irgendetwas benötigt. So hat eine Mitarbeiterin eine Fußwippe, eine andere ein Handablagepolster – also auch nur Kleinigkeiten, aber diese erleichtern genau dieser Person das Arbeitsleben.

cobicos Team

Das Team von cobicos – geballte Frauenpower! Foto: cobicos.

Ida: Wenn ich mir den beruflichen Background des cobicos-Teams so anschaue, seid ihr (im positiven Sinne) ein ganz schön bunter Haufen – von der Bankkauffrau über die Buchhändlerin und Erzieherin bis zur Innenarchitektin! Die Vermutung liegt nahe, dass neue Jobs nicht anhand von Stellenprofilen besetzt werden, die Bewerberinnen 1:1 erfüllen müssen. Wie gehst du bei der Personalauswahl stattdessen vor? Und wie wird in der Personalentwicklung die Qualität in der Beratung sichergestellt?

Birgit Corall: Ja, das stimmt, wir sind wirklich ein bunter Haufen. Ich selber habe ja auch erst Einzelhandelskauffrau gelernt, dann gearbeitet und schließlich noch ein Studium der internationalen BWL angehängt. Nach einigen Jahren Vertrieb der Living Nature Produkte habe ich die Kosmetikerinnen-Ausbildung gemacht.

Wie oben schon beschrieben, war meine Fragestellung beim Arbeitsamt von Anfang an eine andere. Mir war klar, dass ich in Landshut niemanden finde werde, der sich mit den Produkten auskennt oder mein Warenwirtschaftssystem kennt. Daher war es mir wichtig, dass jemand Büroabläufe kennt, am PC fit ist und bereit ist, etwas Neues zu lernen. Und der Mensch ist ja in der Regel neugierig und offen. Um die Qualität der Arbeit zu sichern, haben alle Damen mit der Zeit mehrere interne und externe Schulungen mitgemacht und sich intensiv mit der Materie befasst. Natürlich hat jede ihre Spezialitäten. Zum Beispiel liegen Bank und Personalwesen vor allem in meiner Hand, die Betreuung bestimmter Kunden sind in der Hand einer anderen Kollegin, eine macht unsere Bestellungen, eine Telefonbetreuung usw.

Ida: Starkes wirtschaftliches Wachstum ist auch 2019 noch häufig eines der Hauptziele von Unternehmen, an dem sich die Tätigkeiten und das tägliche Miteinander ausrichten. Daher meine letzte Frage: wenn du dir für die Wirtschaft in Deutschland im Jahr 2029 eine neue Ausrichtung wünschen und so Zukunft gestalten dürftest, welche wäre das?

Birgit Corall: Ich denke, dass Wirtschaft eine neue Bezugsgröße benötigt. Natürlich muss ein Unternehmen wirtschaftlich arbeiten, um seine Mitarbeiter und alle anderen Kosten finanzieren zu können.

Die Frage ist aber eher, wie hoch die Rentabilität ist. Und die kann auch schon einmal gut sein, selbst wenn der Umsatz – warum auch immer – sinkt. Das reine Streben nach Wachstum sieht ja nicht vor, dass es den Produktionsbestandteilen im Unternehmen (Lieferanten, Mitarbeiter, Rohstoffen usw.) gut geht, sondern dass diese möglichst kostengünstig sind.

Meine Frage ist daher, ob sich das ein Unternehmen heute oder im Jahr 2029 leisten kann und sollte? Sollte ein Unternehmen in seinem wirtschaftlichen Handeln nicht auch für das Wohlergehen der Umwelt und Menschen, mit denen es agiert, sorgen? Eine Vorbildfunktion einnehmen? Ein Produkt, welches ökologisch fragwürdig ist, nicht verkaufen? Wie viel ist die Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeiter wert? Wer hat etwas von permanenter Gewinnmaximierung? (Ich denke hier an die Banken und Autokonzerne, die ihre wirtschaftliche Stellung, insbesondere als Arbeitgeber, auch gerne als politisches Druckmittel nutzen und für ihr Handeln nicht verantwortlich sind).

Die Wirtschaft ist daher eindeutig nach mehr Gemeinwohl ausgerichtet – und das am besten schon 2019, nicht erst 2029.

Herzlichen Dank für das Interview, Birgit Corall – ich wünsche eurem starken Team weiterhin viel Erfolg und hoffe, dass deine Visionen für eine neue Art der Wirtschaft Wirklichkeit werden!

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2 Comments

  • Reply Ava 24. Januar 2019 at 11:57

    Schönes Interview, danke. Und es wäre toll, wenn mehr UnternehmerInnen so denken würden. Gewinnmaximierung im übertragenen Sinne kann eben auch sein, dass MitarbeiterInnen und Umwelt profitieren und nicht nur unterm Strich am Ende mehr und mehr Geld für wenige rauskommt auf Kosten von Mensch und Umwelt.

    • Reply Herbs & Flowers 24. Januar 2019 at 12:26

      Genau – eben gelebte Nachhaltigkeit.

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