Die Zukunft ist momentan in erster Linie eins: ungewiss. Umso dankbarer bin ich für all diejenigen, die sich – nicht erst seit gestern – dafür einsetzen, unsere Welt positiv mitzugestalten und die dazu beitragen, dass Ökonomie, Ökologie und Soziales miteinander im Einklang sind. Genau diese Akteure und ihre konkreten Projekte und Maßnahmen stelle ich euch in der Serie Zukunft gestalten vor. In diesem Beitrag bin ich im Austausch mit Gero Leson, dem Geschäftsführer von Dr. Bronner’s – er hat mir ausführlich all meine Fragen rund um das Thema der regenerativen Landwirtschaft beantwortet und mir einmal mehr bestätigt, warum das moderne Unternehmen mit langer Tradition zu meinen Lieblingsmarken gehört:
Ida: Wenn es um CO2-Emissionen im Kontext des Klimawandels geht, dann fällt der Blick häufig zunächst in „luftige“ Bereiche: Flugzeuge als Umweltsünder, andere verkehrsbedingte und industrielle Emissionen etc. Welche Rolle spielen denn dabei der Boden und die Landwirtschaft?
Gero Leson: Umweltorganisationen, Medien und Politik haben in den letzten Jahrzehnten zu Recht ihren Schwerpunkt bei der Verminderung von Treibhausgasemissionen in die „Energieumwandlung“ gesetzt. Dies umfasst alle Quellen, oder Emittenten, bei denen die fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas durch Verbrennung in das Treibhausgas Kohlendioxid, CO2, umgewandelt werden – also Kraftwerke, Industrie, Verkehr. Das potente Treibhausgas Methan blubbert aus Erdgasfeldern und Lecks in Pipelines, aber auch der häusliche Bereich, vor allem das Heizen, tragen zu den Emissionen bei.
Weit weniger bekannt ist der hohe Beitrag, den Land- und Forstwirtschaft zu globalen Treibhausgasemissionen leisten. Wichtige Emittenten sind z. B. das großflächige Fällen und Brandroden von Wäldern, wie wieder verstärkt in Brasilien. Beim großzügigen Einsatz von stickstoffhaltigem Kunstdünger entweicht aus dem gedüngten Boden das sehr potente Treibhausgas N2O, oder Lachgas. Methan wiederum blubbert aus Nassreisfeldern und wird von Kühen ausgerülpst. Rund 60 % der gesamten Methan-Emissionen und 80 % der Lachgas-Emissionen in Deutschland stammen aus der Landwirtschaft.
Gleichzeitig haben gerade Land- und Forstwirtschaft ein großes Potenzial, Emissionen von Treibhausgasen zu vermindern oder sogar das Haupttreibhausgas CO2 in Pflanzen und Böden in Form von neuer Biomasse zu speichern. Dr. Bronner’s Projekte in Ghana (Palmöl), Sri Lanka (Kokosöl) und Indien (Minzöle) sind Lehrbeispiele dafür, dass man durch den Umstieg von Kunstdünger auf Kompostwirtschaft und das Pflanzen von Nutzwäldern in Mischkultur nicht nur Bodenfruchtbarkeit verbessern, sondern auch den Klimawandel bekämpfen kann.
Ida: „Put the carbon back in the soil“ – so lautet im Prinzip das Motto der regenerativen Landwirtschaft, um den Klimawandel zu stoppen. Was genau ist damit gemeint?
Gero Leson: Die Speicherung von atmosphärischem CO2 ist eng mit der Förderung der Bodenfruchtbarkeit verbunden. Wir wissen ja aus der Schule: Bei der Fotosynthese nehmen Pflanzen Kohlenstoff in Form von CO2 aus der Atmosphäre auf und mit Hilfe von Sonnenlicht bilden sie oberirdisch Grün und unterirdisch Wurzeln, die nach und nach verrotten und von Regenwürmern und anderen (Mikro-)Organismen zu Humus verdaut werden. Der besteht zu mehr als 50 Prozent aus Kohlenstoff. Die einfache Gleichung: Jede zusätzliche Tonne Humus, die wir in den Boden bringen, entlastet die Atmosphäre um 1,8 Tonnen CO2. In den vergangenen 40 Jahren ist ein Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Böden auf der Welt zerstört worden, der Rest enthält immer weniger Humus. Ein großer Teil davon endet als CO2 in der Atmosphäre. Ob die Böden ihre potentielle Funktion als riesige Kohlenstoffsenke ausüben können, hängt maßgeblich davon ab, wie der Mensch weiter mit ihnen umgeht. Wissenschaftler und Praktiker sprechen von „Carbon Farming“: Landwirtschaft mit dem Nebenziel, den Humusgehalt im Boden aufzubauen und damit einen erheblichen positiven Einfluss auf unser Klima zu erzielen.
„Ohne den Schutz der Böden wird es nicht möglich sein, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten und den Verlust der Biodiversität zu stoppen“, heißt es etwa auch im „Bodenatlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung. Zudem nimmt die biologische Vielfalt ab, während der Nitratgehalt in unseren Gewässern steigt und das Klima leidet: Synthetischer Stickstoffdünger steht für den größten Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel, denn bei dessen Anwendung werden große Mengen Lachgas freigesetzt – und das ist noch 300-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.
Hier kann der Ökolandbau eine sehr wichtige Rolle spielen. Auf Feldern, Weideflächen und in Wäldern können durch bekannte Maßnahmen der regenerativen Landwirtschaft große Mengen an überschüssigem CO2 aus der Luft gebunden und in Form stabiler organischer Substanz zurück in den Boden gebracht werden. Dies entspricht der ursprünglichen Entstehungsweise unserer Böden – und ist neben der Wiederaufforstung und der Vermeidung der Verbrennung fossiler Treibstoffe einer der wichtigsten Schritte, die wir unternehmen können, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Ida: Dr. Bronner’s hat 2018 rund 36% der Treibhausgas-Emissionen entlang der Zulieferkette kompensiert – bis 2023 sollen es sogar 100% sein! Wow! Kannst du uns anhand eines eurer Fair Trade Anbauprojekte konkret erläutern, durch welche Maßnahmen das möglich ist?
Gero Leson: Die Kohlenstoffbilanz eines Industrieunternehmens hängt einerseits von der Gesamtmenge an Treibhausgasemissionen, die bei Produktion und Vertrieb entstehen, ab, anderseits von Maßnahmen, CO2 aus der Atmosphäre zu binden. Auf der Emissionsseite hat Dr. Bronner’s auf Energieeffizienz in der Produktion und den Einsatz von erneuerbarer Energie bei der Stromerzeugung gesetzt. Andere Beispiele: Für unsere Versandkartons verwenden wir nur 100% PCR-Wellpappe (Post-Consumer-Recycling). Außerdem haben wir jüngst auf Kartonagen umgestellt, die 30% dünner sind. Zusätzlich haben wir nach und nach 90% der Trennwände aus unseren Kartons entfernt. Wir können unsere Kartons mehrmals wiederverwenden, bevor sie ihre Festigkeit verlieren. Dies spart nicht nur Material, sondern reduziert auch die Treibhausgasemissionen, da weniger Gewicht für den Versand anfällt – hier macht auch Kleinvieh Mist.
Welchen Beitrag liefert unser Einstieg in die regenerative Landwirtschaft? Seit 2005 hat Dr. Bronner’s mehrere Bio und Fair Trade zertifizierte Kleinbauernprojekte aufgebaut. Dort haben sich unser Special Operations Team und unsere Partner vor Ort von Anfang an um die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit gekümmert. Zum einen haben wir in Indien jetzt über 2000 Kleinbauern von einer chemieintensiven Produktion von Minze auf eine Kompostwirtschaft umgestellt. Das eliminiert Emissionen von Lachgas, einem potenten Treibhausgas, das bei der Herstellung und Anwendung von Stickstoffdünger frei wird (siehe Frage 1). Gleichzeitig bindet der Kompost, den wir in Indien nutzen, in großem Stil produzierten Kohlenstoff im Boden, ebenso wie das Pflanzen von Bodenbedeckung und die Umstellung auf schonenderes Pflügen. Bei unseren Baumfrüchten – Kokos, Ölpalme, Olive – setzen wir zunehmend auf das Neupflanzen von Bäumen, den Einsatz von Mulch und Kompost, Bodenbedeckung zur Vermeidung von Erosion. In den letzten Jahren praktizieren wir zunehmend das Neupflanzen in geplanten, artenreichen Mischwäldern aus Kakao, Palmen, Fruchtbäumen und Nutzholzbäumen, sogenannte Dynamic Agroforestry. Dies erhöht Bodenfruchtbarkeit und Flächenerträge für Bauern und bindet gleichzeitig sehr viel mehr CO2 als vergleichbare Monokulturen. Außerdem erhöht es die Resilienz von Böden gegenüber Dürren, Stürmen, starken Niederschlagen und Schädlingen.
Das Bestimmen von Emissionen und vor allem das Einbinden von Treibhausgasen ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft. Man schätzt beide mit Hilfe von einfachen Modellen ab. Mit ihrer Hilfe können wir abschätzen, dass Dr. Bronner’s durch den Ausbau von regenerativer Landwirtschaft, verbesserter Energieeffizienz und die Minimierung von Produktions- und Verpackungsabfällen in der Mitte der 20er Jahre der Klimagasemissionen kompensieren wird. Die jährlichen Ergebnisse halten wir in unserem ALL-ONE! Report fest.
Ida: In der Praxis ist das doch bestimmt gar nicht so einfach umzusetzen. Vermutlich geht ihr nicht einfach zu euren Kleinbauern, sagt „Ab morgen läuft hier die gesamte Landwirtschaft mit regenerativen Maßnahmen“ und klatscht dann alle fröhlich mit High-Five ab. Wie sensibilisiert Dr. Bronner’s die Partner in den Anbaugebieten vor Ort für die Thematik? Und welche Formen der Unterstützung erhalten sie dann ganz konkret?
Gero Leson: Das hängt natürlich immer von der Situation vor Ort ab: Was haben die Bauern vor uns gemacht? Und warum? Im Normalfall wurde Kleinbauern der Segen der chemieintensiven Landwirtschaft gepredigt, z. T. erleben wir es oft, dass Menschen falsche Hoffnungen gemacht wurden, wenn sie chemische Düngungs- und Pflanzenschutzmittel einsetzen. In den meisten Fällen sind Landwirte und ihre Familien dann dankbar, dass wir ihnen zeigen können, dass Gewinn – und natürlich sogar mehr Gewinn durch die Langfristigkeit – auch und gerade im Einklang mit ihrer Natur möglich ist.
Zunächst motivieren wir die Bauern auf Biolandwirtschaft umzusteigen, indem wir schulen und alle Kosten der Zertifizierung tragen. In Indien z. B. sparen die Bauern Geld, wenn sie auf Bioanbau umstellen und teure chemische Mittel durch Kompost und natürlichen Pflanzenschutz ersetzen. Auch motivieren wir sie, indem wir faire Preise zahlen und attraktive Vermarktungsmöglichkeiten für Kulturen schaffen, die gut für den Boden sind, z. B. für Leguminosen, die Stickstoff aus der Luft binden können. Auch in Ghana motivieren wir Bauern auf ökologische Landwirtschaft umzustellen (s.o.). Hier bekommen sie eine Bio-Prämie von 10 Prozent. Zusätzlich zahlen Dr. Bronner’s und andere Kunden unserer Projekte eine 10-prozentige Prämie in einen „Fair Trade Fond“ ein. Die Prämie wird für eine Vielzahl von Sozialprojekten eingesetzt. Wir leisten Überzeugungsarbeit durch regelmäßige Schulungen, aber auch durch regelmäßige Kontrollen. Die lokalen Gemeinden profitieren ungemein von unseren Produktionen, da wir erstens nachhaltig Geld und Wissen in die Regionen bringen, attraktive Arbeitsplätze schaffen und das Einkommen von Farmen verbessern, zweitens ihre Natur achten, drittens aus den Gewinnen der Produktionen landwirtschaftliche Schulungszentren, Demo-Flächen und Projekte wie Brunnen oder Geburtsstationen durch Fair Trade Prämie, Entwicklungshilfsprojekte und durch Spenden finanzieren. Die Entscheidung über die Fair Trade Prämie treffen Vertreter von Bauern, Land- und Fabrikarbeitern gemeinsam mit der Unternehmensführung. Zu guter Letzt werden in ländlichen Regionen Arbeitsplätze geschaffen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig fair beschäftigt, versichert und gefördert.
Ida: Habe ich als Endverbraucher eigentlich die Möglichkeit, zu erkennen, ob ein Kosmetikprodukt aus regenerativem Landbau stammt? Existieren überhaupt schon internationale Standards? Und gibt es dafür Siegel?
Gero Leson: Die Produkte von Dr. Bronner’s sind durch zahlreiche Siegel ausgezeichnet. Das heißt, dass Anbau und Verarbeitung unserer Rohstoffe auf Grundlage internationaler Standards zertifiziert werden. Die Einhaltung der Anforderungen wird vor Ort durch unabhängige zugelassene Kontrollstellen geprüft, die sicherstellen, dass unsere Produkte den höchsten Standards für ökologische und soziale Nachhaltigkeit entsprechen. In einigen Bereichen müssen wir aber auch immer wieder mit Partnern eigene Standards entwickeln, weil viele Siegel oftmals der kleinste gemeinsame Nenner zahlreicher Interessensgemeinschaften sind oder unsere Produkte gar nicht abdecken.
Für regenerative Landwirtschaft gab es bis vor kurzem noch keinen einheitlichen Standard. Damit der Begriff wahrheitsgemäß verwendet wird, hat Dr. Bronner´s mit anderen engagierten Firmen zusammengearbeitet und geholfen, das „Regenerative Organic Certification” System (ROC) zu entwickeln. Dieser Standard legt die hohen Anforderungen fest, die Betriebe erfüllen müssen, die ihre Produkte als „regenerativ“ vermarkten wollen. Dies beinhaltet nicht nur Bodenfruchtbarkeit, sondern auch soziale Verantwortung und artgerechte Tierhaltung.
Ida: Zu guter Letzt: wie sieht deine Vision für die Landwirtschaft und ihre Auswirkungen auf den Klimawandel in 10 Jahren aus?
Gero Leson: Wir sind dabei, in einem Netzwerk aus engagierten Firmen Veränderungen anzustoßen und konkrete Beispiele aufzeigen, wie eine tiefgreifende Veränderung der Landwirtschaft möglich ist. Die regenerative Landwirtschaft kann Firmen mit hohem Einsatz an landwirschaftlichen Rohstoffen ermöglichen, klimaneutral zu werden und gleichzeitig einen stark positiven sozialen Einfluss in ländlichen Gegenden zu haben. In 10 Jahren wird Dr. Bronner’s nicht nur klimapositiv sein (d. h. der Kauf jedes unserer Produkte soll eine positive Auswirkung auf das Klima haben). Durch wegweisende neue Techniken und Demonstrationsprojekte möchten wir Breitenwirkung erzielen und eine ständig wachsende Zahl an Partnern gewinnen, die ihrerseits ihre Rohstoffgewinnung auf regenerative und sozial verantwortliche Fundamente stellen. Auch aufgrund unserer tropischen Rohstoffe wird unser Herz und unser Arbeitsschwerpunkt bei Kleinbauern in tropischen Ländern liegen. Jedoch sehen wir schon heute, dass Dr. Bronner’s Modell auch Bauern in den USA und Europa motiviert, nach neuen Wegen in der Landwirtschaft zu suchen.
Herzlichen Dank für das Interview, Gero Leson!
Alle bisherigen Beiträge aus der Serie „Zukunft gestalten“ findet ihr hier.
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